Lost Places

Ausstellungsansicht Lost Places, Galerie der Gegenwart, Kunsthalle Hamburg, 2012

Lost Places

Ausstellungsansicht Lost Places, Galerie der Gegenwart, Kunsthalle Hamburg, 2012

LOST PLACES, 2012

Galerie der Gegenwart, Kunsthalle Hamburg

Gruppenausstellung

2012

Der Zerstörter Raum

Wand, Glas, Duraclear
Maße variabel, Bild: 170 x 300cm
Ausstellung: Lost Places - Orte der Photographie, Galerie der Gegenwart, Kunsthalle Hamburg, 2012



Das Werk von Sabine Hornig entwickelt sich an den Schnittstellen zwischen Skulptur, raumbezogener Installation und Photographie. Ihre frühen, seit 1995 entstehenden Arbeiten sind zunächst als skulpturale Eingriffe in vorhandene Räume zu sehen, in Prototype - Memory Is Reconstruction von 1996/98 arbeitet die Künstlerin dann erstmals mit dem Motiv des Schaufensters. In einen Raum eingefügt, der wiederum selbst eingebaut ist, gibt die Arbeit als semi-transparentes Großbilddia den Blick auf eine städtische Schaufensterscheibe sowie den Durchblick auf den real dahinterliegenden Raum wieder.1 Dieses Motiv, das in weiteren skulpturalen Arbeiten, Installationen und Kunst-am-Bau­Projekten in Variationen wiederkehrt, verselbstständigt sich 2001 auch als solitäre großformatige Photographie. In den folgenden zehn Jahren entsteht eine Werkgruppe von heute rund fünfzig Arbeiten, die alle dem Motiv des Schaufensters gewidmet sind, konzipiert nicht als Serie oder Typologie, sondern als Einzelbilder.2

Von Beginn an wählte Sabine Hornig einen klaren formalen Aufbau, der unverändert erhalten bleibt. Die Proportionen des real existierenden Schaufensters aufnehmend, aber teils bis um die Hälfte verkleinert, ist das Format auf den Betrachter bezogen, bleibt aber so groß, dass das Bild bzw. die Rauminstallation weiterhin als Schaufenster erfahrbar ist. Der Bildausschnitt der rahmenlosen, im Diasec­Verfahren hergestellten Photographien wird durch den abgebildeten Fensterrahmen begrenzt, wodurch dieser eine konstituierende Funktion für das Werk als Ganzes einnimmt:
»Begrenzung vom tatsächlichen in den Illusionsraum und selbst Illusion, aber auch tatsächlich fotografiert«.3 Immer frontal aufgenommen, vereint der Blick auf das Schaufenster den Durchblick in den oftmals im Umbau befindlichen Raum, die Reflexionen des Außenraumes auf der Fensterscheibe sowie die Spuren auf dem Glas selbst. Von wenigen Arbeiten abgesehen, entstanden alle Aufnahmen in Berlin, genauer gesagt in Berlin-Mitte. Dieser in steter Transformation und Neudefinition befindliche Ort zeichnete sich nicht nur bis vor wenigen Jahren durch massiven Leerstand von Gewerbeimmobilien aus, sondern lässt noch bis heute Spuren der früheren Teilung der Stadt erkennen, die sich Fossilien gleich in die Fassaden, Pflastersteine oder Raumordnungen eingeschrieben haben.

Sabine Hornig verzichtet bei den meisten Werken auf eine Ortsangabe, so auch bei Der zerstörte Raum, das 2005 entstanden ist. Schon die Titelgebung verweist auf Jeff Walls' erstes Großbilddia The Destroyed Room (1978) und ist zugleich ein Hinweis auf Hornigs intensive Auseinandersetzung mit kunstgeschichtlichen Traditionen gibt, von Tizian über Velazquez und die niederländische Genremalerei bis zu zeitgenössischen Werken. In einem grandiosen, an die dramatischen Land­schaftsdarstellungen von Jacob van Ruisdael oder Caspar David Friedrich erinnernden Panorama vereint die Künstlerin verschiedene Wahrnehmungsebenen, die wie transparente Folien übereinanderliegen und sich durchdringen. Erst bei genauerem Hinsehen lasst sich unterscheiden, welche Objekte sich im Raum befinden - so die wie ein exquisites Stillleben wirkende Ansammlung von Baumaterialien - oder welche nur als Spiegelung auf der Scheibe zu erkennen sind, wie die schneebedeckte Allee mit den blattlosen Bäumen. Obwohl der Blick des Betrachters sich immer wieder neu orientieren muss, wird er von einer Ansicht gefangen genommen, die einer Mehrfachbelichtung oder filmischen Montage vergleichbar Innen- und Außenraum, Natur und Stadt, Tiefe und Flache, Vorher und Nachher dem steten Strom der Ereignisse entreißt und in einem Moment des Innehaltens verschmelzen lässt. Zugleich bleibt das Bild gegenüber der Wirklichkeit autark, ganz zweidimensionale Fläche, die weder einen Tiefenraum illusionieren noch eine subjektive, gefühlsbetonte Schwellenerfahrung vermitteln will, sondern ein neuartiges, mehrdimensionales Raumerlebnis, das in Einblick auf seine Detailge­nauigkeit und Realitätsbezogenheit so nur mit dem Medium der Photographie geschaffen werden kann.


text von INKA GRAEVE INGELMANN, in: Lost Places - Orte der Photographie, 2012, S. 54, Hamburger Kunsthalle, Kehrer Verlag


1 Sabine Hornig, in: Ausst.-Kat. Lissabon/Berlin 2005/06, S. 54-55.
2 Siehe hierzu die Werkmonographie, in: Ausst.-Kat. München 2011/1.
3 Diese und weitere, als Zitate gekennzeichneten Aussagen der Künstlerin sowie der Bezug auf einige kunsthistorische Einflüsse entstammen der Korrespondenz mit der Autorin im Jahr 2011.